Sonntag, 4. November 2007

Über die Gefühle kleiner Kinder

In einem spannenden Interview erläutern Kinderpsychiater Professor Gunther Moll, Leiter der Kinder- und Jugendabteilung für Psychische Gesundheit am Universitätsklinikum Erlangen, und der dortige Leiter der Forschung, der Neurobiologe Professor Ralph Dawirs, warum kleine Kinder ihre Eltern als dauerhafte und feste Bezugspersonen brauchen. Ein Text, den alle Krippenideologen einfach mal lesen sollten.

Gunther Moll: Erstens: Kinder kommen nicht fertig auf die Welt. Sie brauchen zunächst Unterstützung, Schutz, Geborgenheit. Es muss jemand da sein und sie an die Hand nehmen. Zweitens: Der größte Störfaktor sind die Erwachsenen. Wenn Kinder anfangen, etwas selbst machen zu wollen, dann stören wir sie dabei. Dann haben wir meist keine Zeit. Denn die Zeiträuber haben uns Erwachsenen eingeredet, wir hätten keine Zeit. Und deshalb glauben wir auch, dass wir keine Zeit für Kinder haben. Wir müssen aber ein Herz und Zeit für Kinder haben. Wir haben die Lebenszeit dafür, und wir haben das Recht, uns diese Zeit zu nehmen. Wir müssen Kinder aber die Welt selbst entdecken, ausprobieren und erfahren lassen. Und wir müssen sie dabei beobachten. Laut Artikel 2 des Grundgesetzes hat jede Persönlichkeit das Recht auf freie Entfaltung. Sind die Bedingungen für das Kind nicht optimal, dann verletzen wir das Grundgesetz.
Dawirs: Die Gründerväter des Grundgesetzes hatten den richtigen Instinkt. Der Artikel 2 umfasst genau die heutigen Erkenntnisse der Hirnforschung. Die Persönlichkeit fällt ja nicht vom Himmel, sie entfaltet sich. Der Gesetzeswortlaut – allein das Wort entfalten – ist vor dem Hintergrund heutiger Erkenntnisse wunderbar zu lesen und muss deshalb auch im Sinne des Kindes interpretiert werden. Man weiß ja inzwischen, was es bedeutet, in den ersten Lebenswochen und Lebensjahren Entscheidungen zu vernachlässigen. Diese frühe Zeit entscheidet maßgeblich über die spätere soziale Kompetenz und die Stellung des Einzelnen in der Gesellschaft.
(...)
Dawirs: Es ist nicht gut, wenn ein Kind bindungsfrei aufwächst. Das ist dann der Fall, wenn dem Kind – der Not gehorchend – wechselnde Bezugspersonen zur Verfügung gestellt werden. Das heißt nicht: Krippe ja oder nein. Man kann sogar ableiten, dass die Urmenschen in Krippen groß geworden sind. Aber das waren feste Bezugsgruppen, die noch stabiler waren als die Einzelmutter. Darum geht es: um Qualität.
WELT ONLINE: Wie sähe folglich die ideale Kinderkrippe aus?
Dawirs: Die Betreuung in der Krippe muss eins zu zwei sein: Auf eine Betreuerin kommen maximal zwei Kinder. Man hat schließlich nur zwei Arme, für jedes Kind einen. Am besten sogar eine Betreuerin für ein Kind. Erfolgt die Hirnentwicklung in diesem Stadium nicht optimal, dann ist sie später auch nicht mehr wegzupädagogisieren. Der Scheideweg wird in dieser frühen Phase gelegt.

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